Freitag, 13. Oktober 2006

Die erste Woche

Wie gesagt: Ich hatte das grosze Glueck, dass mein Vorgaenger, David Laehnemann, in meiner ersten Dienstwoche noch da war und wir quasi zusammen den Job schmeiszen konnten. Das war eine sehr grosze Hilfe. Er holte mich vom Bahnhof ab, trug einen Teil meines Gepaecks. Er weckte mich, wenn ich Morgens verschlief. ^^ Er stellte mich Bewohnern vor und erklaerte mir alle Abeitsbereiche. Auch wenn mein Kopf schon nach wenigen Stunden so voll von Informationen war, dass ich nichts mehr aufnehmen konnte: Es erleichterte mir doch erheblich den Anfang...
Die Tatsache, dass David waehrend meiner erste Woche in Massy noch da war, hiesz aber auch: Ich konnte die erste Woche noch nicht in mein eigentliches Zimmer einziehen, weil DAS noch von ihm blockiert wurde.
Stattdessen wurde ich fuer die ersten Tage provisorisch in einer anderen momentan leer-stehenden Bude einquartiert.

Jean, der Hausmeister hier, macht so ziemlich alles. Garten pflegen, Reparationen und Renovationen. Es gibt fast nichts, was er nicht kann.
Doch alles auf einmal machen kann natuerlich keiner. Das Foyer wird also auch nur nach und nach von ihm renoviert. So kommt es, dass d
er rechte Fluegel komplett neu gemacht ist. Hier befindet sich das Zimmer von David, das mittlerweile zu meinem geworden ist.
So kommt es aber auch, dass der andere Fluegel ziemlich heruntergekommen ist. Und genau da war ich die erste Woche untergebracht. Laeucher in den weisz ueberstrichenen, kalten Betonwaenden, eine Papp-duenne, k
aum Schallisolierende, klapprige Tuer und nur zwei Steckdoesen, von denen die eine fuer die Lampe und die andere fuer den Kuelschrank belegt ist.
Direkt gegenueber dieses Zimmers befinden sich die oeffentlichen Telefone, wo die Bewohner bis spaet in die Nacht in ihren Heimatlaender Bekannte und Verwandte anrufen. Die erste Woche war also ziemlich „aufregend“.
Alle zwei Monate findet im Centre die „Fête d'anniversaire“ statt, bei der alle Bewohner die Moeglichkeit haben, zusammen die vergangenen Geburtstage nach zu feiern. Und diese Feier fand genau am dem Tag statt, an dem ich im Centre angekommen war; zwar ganz schoen
anstrengend, aber eine grosze Chance.
Man sah wieder einige von denen, die man auf der Projektreise kennen gelernt hatte und konnte sich deren Namen in Erinnerung rufen. Auszerdem hatte man Gelegenheit, gleich seine Sprachkenntnisse auf die Probe zu stellen.
Ansonsten wie eine ganz normale Feier halt. Getraenke, Knabberzeugs, Kuchen. das uebliche eben. Aber eine super Stimmung.
Das Groeszte war, dass der aelteste der Bewohner, der kaum Franzoesisch spricht und an Pakinson leidet, seine Trommel aus einem Stoffbeutel holte, David darum bat, doch bitte die Musik auszumachen, um dann zu dem auf der Trommel geschlagenen Rhythmus arabische Lieder anzustimmen. Sagenhaft! David erzaehlte mir, der Mann sei schon etwas verwirrt (Pakinson geht ja meist mit Altsheimer einher)... Ich war total verbluefft, wie dieser Mann trotz allem an diesem Abend aus sich heraus ging. Er war so richtig in seinem Element, von geistiger Verwirrung keine Spur. Lachend sang er auch das dritte Lied noch zu Ende. Die anderen klatschten oder tanzten... Ein Erlebnis der besonderen Art. Die Feier ging spaet in der Nacht zu Ende, doch ich – kaput von der Fahrt – verzog mich schon gege
n 23:00 in mein Zimmer und schlief.
Am naechsten Morgen waren wir mit der Davids Patin, die im Cité Universitaire wohnt, zum Brunschen verabredet. Ich genoss mein erstes wirklich franzoesisches Fruehstueck mit Baguette und Croissant... Anschlieszend ging es in die City, denn an diesem Sonntag bot sich die auszergewoenliche Moeglichkeit, viele Gebaeude umsonst zu besichtigen. Wir begnuegten uns damit, das Senatsgebaeude, die Gewaechshaueser im Jardin du Louxembourg und das Pantheon in Augenschein zu nehmen. Doch als wir im Pantheon waren und unsere Blicke auf einer ungewoehnlich gewagten und fremdartigen „Sandsack-Installation“ ruhten, kam in meinen Augenschein etwas ganz anderes: Dario Schneider, ein Schulfreund, der nun auch seinen Zivi in Paris macht, mit weiblichen Anhang aus Trautheim. Da musste ich erst hier her kommen, um ihn wieder zu treffen! Die Welt ist klein! Naja, die Zeit reichte leider fuer nicht viel mehr als die neuen Telefon-Nummen auszutauschen...
Um 15:00 begann Davis Chor, zu dem ich mitging.
Vorher schob ich mir also noch ganz nebenher das erste Falaffelsandwich meines Leb
ens in den Schlund, um dann David zum Gare du Nord zu begleiten, wo sich der Chor traf... Dieser entpuppte sich als eine international bunt gemischte, lustige Truppe. Wir sangen super-schoene Arrangements. Jazziges, Rockiges, Poppiges. Jimmy Hendrix – Many Depression, beispielsweise.
Echt cool. Es gefiel mir so gut, dass ich mich spontan dazu entschied, regelmaeszig hinzugehen. Und so ward die erste Freizeitbeschaeftigung gefunden...
Anschlieszend ging ich noch mit einigen Chormitgliedern in den benachbarten Park, um Tischtennis zu spielen.
Danach hatte ich nur noch genug Kraft, mich ins Bett zu schmeiszen und die Eindruecke des Tages in Form eines Traumes zu verarbeiten...
Aehnlich voll gestalteten sich auch die darauf folgenden Tage. Jeden Tag lernte ich ein bisschen mehr. Erst guckte ich nur zu, wie David etwas machte, und versuchte mir so viel wie moeglich zu merken. Dann probierte ich immer mehr auch selber aus.
Ich lernte, wie man die Cafeteria verwaltete, wie man mit Beamer und Verstaerkeranlage umzugehen hatte und wie man die Post sortierte.
Doch die kleineren Dinge bereiteten mir die groeszeren Probleme:
Wo finde ich Ersatzgluehbirnen? („Je demande Jean.“ - Jean fragen.)
Was will mir die Frau am Telefon eigentlich mitteilen? („Un instant, Madame. Je vous passe.“ - Einen Moment, bitte ich verbinde sie. Ouf, geschafft!)
Wie sage ich der Frau in der Kantine verdammt nochmal, das ich das so lecker aussehende Reisgericht dahinten mit den Zuckini haben moechte? („Ce truc là, s'il vous plaît!“ - das Dings-Bums da drueben, bitte!)
Fuer die meisten Probleme fanden sich waehrend der ersten Woche auf diese Weise eine Loesung und ich konnte David mit einem guten Gefuehl an den Bahnof bringen, der die Reise nach Deutschland antrat, um in Tuebingen sein Biologie-Studium zu beginnnen. ...
Nun war ich also allein. Auf mich gestellt. Nun wuerde ich Franzoesisch reden muessen. Kein „petit allemand“ mehr, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht.
Auch fragte ich mich, ob ich den Erwartungen gerecht werden wuerde, die man in mich gesteckt hatte. David war der erste Freiwillige in diesem Projekt. Er hatte die Aufgaben definiert, das Freizeit-Programm aufgebaut, Standarts gesetzt. Ich konnte nicht so gut mit dem PC umgehen wie er. Er konnte nach dem Jahr echt gut Franzoesisch. Es war nicht einfach, ihn ersetzen zu muessen.
Trotz der allgemeinen Zuversicht, die ich hatte, bildeten sich Zweifel...
Doch, sagte ich mir schlieszlich: Es ging ja gar nicht darum, ihn zu ersetzen oder gar zu immitieren. Ich wuerde mein Ding so gut ich konnte durchziehen und eigene Akzente setzen...