Montag, 16. Oktober 2006

Angekommen


Nun, zwei Monate nach Beginn meines Dienstes habe ich nun auch das Gefuehl, wirklich komplett angekommen zu sein.
Mein kleines aber feines Zimer ist bezogen. Der Kuehlschrank mit Vorraeten gefuellt, Poster aufgehaengt und die Gitarre unterm Bett. Alles top. Auch die Daten auf dem PC im Buero sollte ich nun finden und weiterverarbeiten koennnen.
Und hey: Es gibt auch schon ein Paar (zugegebenermaszen ziemlich lang gewordene) Artikel auf meinem Blog. ;o) [Sorry, die naechsten werden nicht so lang, aber ich hatte ja eine ganze Menge Zeit aufzuarbeiten.]
Auch kann ich mich in Massy einigermaszen orientieren und kenne die „wichtigsten“ Plaetze in Paris.
Die Stadt Paris ist einfach klasse. Mit den anderen Freiwilligen treffe ich mich dort regelmaeszig, so dass ich oft genug die Moeglichkeit habe, Deutsch zu sprechen. Ich haette nie gedacht, wieviel mir an dieser Sprache liegt (man ist hier als Auslaender ja schon ein wenig Kommunikations-behindert.).
Neulich haben wir Freiwilligen im Centre Pompidou zu fuenft auf dem Boden gesessen, Abendbrot gegessen und uns ausgetauscht.
Hey! DAS Centre Pompidou! Das aus dem „Cours Intensifs“ vom Klett-Verlag! Ihr wisst schon: "Moi, je m'appelle Marc. J'aime le Centre Pompidou, les boulevards et le cinéma." Ich kanns jetzt noch nicht fassen! Und die Woche davor waren wir an der Seine, wo gegenueber von uns auf dem anderen Ufer ein Saxophonist in sein Horn blies...
Natuerlich sind das nur zwei von vielen anderen Erlebnissen, die ich hier hatte...

Naechste Woche werden mich dann schieszlich meine Eltern besuchen. Sie bringen die letzten „unverzichtbaren“ Gegenstaende von zu Hause, um mein Glueck hier perfekt zu machen, und werden sich alles anschauen... Echt merkwuerdig, die eigenen Eltern im neuen Zuhause zu begrueszen!

Freitag, 13. Oktober 2006

Die erste Woche

Wie gesagt: Ich hatte das grosze Glueck, dass mein Vorgaenger, David Laehnemann, in meiner ersten Dienstwoche noch da war und wir quasi zusammen den Job schmeiszen konnten. Das war eine sehr grosze Hilfe. Er holte mich vom Bahnhof ab, trug einen Teil meines Gepaecks. Er weckte mich, wenn ich Morgens verschlief. ^^ Er stellte mich Bewohnern vor und erklaerte mir alle Abeitsbereiche. Auch wenn mein Kopf schon nach wenigen Stunden so voll von Informationen war, dass ich nichts mehr aufnehmen konnte: Es erleichterte mir doch erheblich den Anfang...
Die Tatsache, dass David waehrend meiner erste Woche in Massy noch da war, hiesz aber auch: Ich konnte die erste Woche noch nicht in mein eigentliches Zimmer einziehen, weil DAS noch von ihm blockiert wurde.
Stattdessen wurde ich fuer die ersten Tage provisorisch in einer anderen momentan leer-stehenden Bude einquartiert.

Jean, der Hausmeister hier, macht so ziemlich alles. Garten pflegen, Reparationen und Renovationen. Es gibt fast nichts, was er nicht kann.
Doch alles auf einmal machen kann natuerlich keiner. Das Foyer wird also auch nur nach und nach von ihm renoviert. So kommt es, dass d
er rechte Fluegel komplett neu gemacht ist. Hier befindet sich das Zimmer von David, das mittlerweile zu meinem geworden ist.
So kommt es aber auch, dass der andere Fluegel ziemlich heruntergekommen ist. Und genau da war ich die erste Woche untergebracht. Laeucher in den weisz ueberstrichenen, kalten Betonwaenden, eine Papp-duenne, k
aum Schallisolierende, klapprige Tuer und nur zwei Steckdoesen, von denen die eine fuer die Lampe und die andere fuer den Kuelschrank belegt ist.
Direkt gegenueber dieses Zimmers befinden sich die oeffentlichen Telefone, wo die Bewohner bis spaet in die Nacht in ihren Heimatlaender Bekannte und Verwandte anrufen. Die erste Woche war also ziemlich „aufregend“.
Alle zwei Monate findet im Centre die „Fête d'anniversaire“ statt, bei der alle Bewohner die Moeglichkeit haben, zusammen die vergangenen Geburtstage nach zu feiern. Und diese Feier fand genau am dem Tag statt, an dem ich im Centre angekommen war; zwar ganz schoen
anstrengend, aber eine grosze Chance.
Man sah wieder einige von denen, die man auf der Projektreise kennen gelernt hatte und konnte sich deren Namen in Erinnerung rufen. Auszerdem hatte man Gelegenheit, gleich seine Sprachkenntnisse auf die Probe zu stellen.
Ansonsten wie eine ganz normale Feier halt. Getraenke, Knabberzeugs, Kuchen. das uebliche eben. Aber eine super Stimmung.
Das Groeszte war, dass der aelteste der Bewohner, der kaum Franzoesisch spricht und an Pakinson leidet, seine Trommel aus einem Stoffbeutel holte, David darum bat, doch bitte die Musik auszumachen, um dann zu dem auf der Trommel geschlagenen Rhythmus arabische Lieder anzustimmen. Sagenhaft! David erzaehlte mir, der Mann sei schon etwas verwirrt (Pakinson geht ja meist mit Altsheimer einher)... Ich war total verbluefft, wie dieser Mann trotz allem an diesem Abend aus sich heraus ging. Er war so richtig in seinem Element, von geistiger Verwirrung keine Spur. Lachend sang er auch das dritte Lied noch zu Ende. Die anderen klatschten oder tanzten... Ein Erlebnis der besonderen Art. Die Feier ging spaet in der Nacht zu Ende, doch ich – kaput von der Fahrt – verzog mich schon gege
n 23:00 in mein Zimmer und schlief.
Am naechsten Morgen waren wir mit der Davids Patin, die im Cité Universitaire wohnt, zum Brunschen verabredet. Ich genoss mein erstes wirklich franzoesisches Fruehstueck mit Baguette und Croissant... Anschlieszend ging es in die City, denn an diesem Sonntag bot sich die auszergewoenliche Moeglichkeit, viele Gebaeude umsonst zu besichtigen. Wir begnuegten uns damit, das Senatsgebaeude, die Gewaechshaueser im Jardin du Louxembourg und das Pantheon in Augenschein zu nehmen. Doch als wir im Pantheon waren und unsere Blicke auf einer ungewoehnlich gewagten und fremdartigen „Sandsack-Installation“ ruhten, kam in meinen Augenschein etwas ganz anderes: Dario Schneider, ein Schulfreund, der nun auch seinen Zivi in Paris macht, mit weiblichen Anhang aus Trautheim. Da musste ich erst hier her kommen, um ihn wieder zu treffen! Die Welt ist klein! Naja, die Zeit reichte leider fuer nicht viel mehr als die neuen Telefon-Nummen auszutauschen...
Um 15:00 begann Davis Chor, zu dem ich mitging.
Vorher schob ich mir also noch ganz nebenher das erste Falaffelsandwich meines Leb
ens in den Schlund, um dann David zum Gare du Nord zu begleiten, wo sich der Chor traf... Dieser entpuppte sich als eine international bunt gemischte, lustige Truppe. Wir sangen super-schoene Arrangements. Jazziges, Rockiges, Poppiges. Jimmy Hendrix – Many Depression, beispielsweise.
Echt cool. Es gefiel mir so gut, dass ich mich spontan dazu entschied, regelmaeszig hinzugehen. Und so ward die erste Freizeitbeschaeftigung gefunden...
Anschlieszend ging ich noch mit einigen Chormitgliedern in den benachbarten Park, um Tischtennis zu spielen.
Danach hatte ich nur noch genug Kraft, mich ins Bett zu schmeiszen und die Eindruecke des Tages in Form eines Traumes zu verarbeiten...
Aehnlich voll gestalteten sich auch die darauf folgenden Tage. Jeden Tag lernte ich ein bisschen mehr. Erst guckte ich nur zu, wie David etwas machte, und versuchte mir so viel wie moeglich zu merken. Dann probierte ich immer mehr auch selber aus.
Ich lernte, wie man die Cafeteria verwaltete, wie man mit Beamer und Verstaerkeranlage umzugehen hatte und wie man die Post sortierte.
Doch die kleineren Dinge bereiteten mir die groeszeren Probleme:
Wo finde ich Ersatzgluehbirnen? („Je demande Jean.“ - Jean fragen.)
Was will mir die Frau am Telefon eigentlich mitteilen? („Un instant, Madame. Je vous passe.“ - Einen Moment, bitte ich verbinde sie. Ouf, geschafft!)
Wie sage ich der Frau in der Kantine verdammt nochmal, das ich das so lecker aussehende Reisgericht dahinten mit den Zuckini haben moechte? („Ce truc là, s'il vous plaît!“ - das Dings-Bums da drueben, bitte!)
Fuer die meisten Probleme fanden sich waehrend der ersten Woche auf diese Weise eine Loesung und ich konnte David mit einem guten Gefuehl an den Bahnof bringen, der die Reise nach Deutschland antrat, um in Tuebingen sein Biologie-Studium zu beginnnen. ...
Nun war ich also allein. Auf mich gestellt. Nun wuerde ich Franzoesisch reden muessen. Kein „petit allemand“ mehr, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht.
Auch fragte ich mich, ob ich den Erwartungen gerecht werden wuerde, die man in mich gesteckt hatte. David war der erste Freiwillige in diesem Projekt. Er hatte die Aufgaben definiert, das Freizeit-Programm aufgebaut, Standarts gesetzt. Ich konnte nicht so gut mit dem PC umgehen wie er. Er konnte nach dem Jahr echt gut Franzoesisch. Es war nicht einfach, ihn ersetzen zu muessen.
Trotz der allgemeinen Zuversicht, die ich hatte, bildeten sich Zweifel...
Doch, sagte ich mir schlieszlich: Es ging ja gar nicht darum, ihn zu ersetzen oder gar zu immitieren. Ich wuerde mein Ding so gut ich konnte durchziehen und eigene Akzente setzen...

Donnerstag, 12. Oktober 2006

Die Fahrt nach Paris - Jetzt geht's los

16.09.2006. Etwa 10 Uhr Morgens.
Ich war eingestiegen. Der Zug rollte los. Und da gleich der erste Schlammassel. Auf meiner Platz-Reservierungs-Karte fehlte die Sitznummer. Unwillig, den ganzen Wagon nach meinem Sitz in dem ohnehin nicht vollbesetzten Zug zu durchsuchen, schloss ich mein Fahrrad im dafuer vorgesehenen Raum an und liesz mich im benachbarten Abteil nieder. Dort hatte es sich schon ein junger, unrasierter Kerl -augenscheinlich Student- bequem gemacht hatte.
Nach dem obligatorischen Zurecht-Ruecken des Gepaecks folgte eine kurze Zeit des Schweigens, ehe wir mit der ueblichen Zug-Unterhaltung begannen.
Ja, er sei auch mit dem Rad unterwegs. Er studiere Kunst in Toulouse.
„Was machst DU denn in Frankreich?“, wollte auch er nun wissen. Ich sagte meine fuenf Standard-Saetze auf: Zivi im Ausland, hab gerade Abi gemacht, bin in nem Vorort von Paris, arbeite mit Fluechtlingen...
Als er jedoch nach meiner Organisation fragte, wurde das Gespraech auf einen Schlag interessant:
„WAASSSSS, du bist mit EIRENE im Ausland! Das war ich vor zwei Jahren AUCH!“ Er hatte also das komplette Programm auch schon einmal durchgemacht. Ein unglaublich gluecklicher Zufall.

Wie viele Jugendliche gibt es in Deutschland? Keine Plan!
Wie viele machen davon Zivi? Der kleinere Anteil! Schlieszlich werden ziemlich viele ausgemustert.
Wie viele von ihnen leisten den Zivildienst im Ausland ab? Wenige, ist ja mit deutlich mehr Aufwand verbunden!
Wie viele gehen davon mit EIRENE weg? Ziemlich genau 60 pro Jahr.

Krass! Damit nicht genug. Es stellte sich heraus, dass Georg (das war sein Name) im selben Projekt war wie Dominik (einer der 20, mit denen ich gerade eben noch auf Ausreisekurs war).
Gespraechsstoff fuer die ganze Zugfahrt war gefunden. Wir redeten. Ich weisz nicht wie lange. Er fragte mich aus ueber all die Leute, die er noch von frueher kannte. „Ja, Friedemann leitet immer noch die Seminare. Ja, mein Referant ist auch der Ralf.“ ...
Er gab mir hilfreiche Tipps fuer meinen Aufenthalt...
Doch das war nicht das einzig Amuesante an meiner Hinfahrt. Nach etwa der Haelfte der Strecke wurden wir hoeflich darauf aufmerksam gemacht, das wir uns versehentlich in dem speziell fuer die Mitropa reservierten Abteil niedergelassen hatten. Das Bahnpersonal in Deutschland hatte schlichtweg vergessen, es auch als solches zu kennzeichnen. Wir zogen also in das benachbarte Abteil um, dass ebenso leer war, wie das erste. Kein Problem also fuer uns. Doch der Franzose war untroestlich, dass er uns verscheucht hatte. Immer wieder stiesz er ein „désolé“ hervor, um sich bei uns zu entschuldigen. Georg verklickerte ihm, dass wir Deutsche neu in Frankreich waeren und uns beide in sozialen Projekten engagieren wuerden. „Wir unterstuetzen Ihr Land mit unserer Arbeit“, betonte Georg. Nun sei also, fuhr er fort, die Franzoesischen Bahn am „Zug“, UNS etwas entgegenzubringen. Und so fragte Georg den Monsieur von der Mitropa ganz dreist, ob wir nicht als kleine Wieder-gut-Machung einen „Café libre“ bekommen koennten, sozusagen zur Festigung der Deutsch-Franzoesischen Freundschaft. Eine klasse Erklaerung, die auch dem Monsieur einleuchtete. ^^
Auf unseren kostenlosen Kaffee wartend, ergab sich dann ein netter Plausch, denn der Mann musste zuvor noch sein Waegelchen mit allerlei Snacks fuellen. Ich fuer meinen Teil begnuegte mich damit, der franzoesischen Unterhaltung zuzuhoeren, den Pappbaecher mit einem simplen „Merci“ entgegenzunehmen und auf die hoffentlich baldige Besserung meiner Sprachkenntnisse zu warten...
Dann war es soweit. Der Zug rollte im Kopfbahnhof Paris - Ost ein.
Georg und ich tauschten die E-Mailadressen aus.
[Nach dieser interessanten Begegnung fuehlte ich mich nocheinmal in meiner Annahme bestaetigt, dass EIRENE doch so etwas wie eine Sekte sein musste! (ACHTUNG, Insider!) ^^]
Am Bahnsteig holte mich David, mein Vorgaenger, ab und mit der RER ging es gen Massy, wo ich im Centre noch am Abend ein Zimmer bezog...

Der letzte Tag Zuhause

Am Freitag, den 15.09. war alles vorbei. Eigentlich sollte man meinen, jetzt ging es so richtig los, doch das war ganz und gar nicht mein Gefuehl.
Mit dem Rucksack auf dem Ruecken und einer Tasche in der Hand stand ich etwas verloren auf dem Hof der Bannmuehle, wo unser Seminar stattgefunden hatte. Die anderen raeumten noch auf, packten, aszen oder zeigten Eltern und Freunden, die sie abholten, das Gebaeude.
Ich hatte noch eine halbe Stunde bis ich zu meinem Bus musste. Diese reichte, um sich von jedem noch einmal gruendlich zu verabschieden...
Echt ein komisches Gefuehl und das schlimmste: Ich wurde es partu nicht los. Mit einigen aus meinem Kurs fuhr ich zunaechst in die gleiche Richtung. Mit Lukas, Nora und Mareike wartete ich noch einige Zeit gemeinsam am Mainzer Hauptbahnhof, bevor meine Bummelbahn langsam losrollte und ich, meinen Rucksack
voll Dreckwaesche auf die Ablage hiefend, den drei auf dem Bahnsetig zuwinkte...
Zuhause war gerade noch genug Zeit, sich mit meiner Familie auszutauschen und ein paar Fotos zu zeigen. Danach verbrachte ich die Zeit damit, AUS-, wieder EIN- und noch einmal UMzupacken. Immer wieder fiel mit etwas ein, das ich noch unbedingt mitnehmen musste. So wurden das ein oder andere Mal noch die Umzugskisten aufgemacht, um sie mit einem scheinbar unendlich wertvollen Gegenstand anzureichern...
Die letzte Nacht in meinem Bett war e
ine Wohltat, nachdem mein Ruecken zwei Wochen von durchgelegenen Billig-Matratzen strapaziert worden war. Ich schlief gut. Leider so gut, dass ich VERschlief und sich noch eine kleine Abschieds-Reiberei mit meiner Mutter ergab...
Jedenfalls erreichte ich puenktlich mein
en Zug nach Frankreich und wurde in allen Einzelheiten klasse von meiner Familie unterstuetzt: Meine Mutter machte mir Reiseproviant, mein Vater fuhr mich zum Darmstaedter Hauptbahnhof und meine Schwester brachte mir mein Rad mit der „Vias-Odenwald-Bahn“ an den Bahnsteig. (Welch' ein Servis. Das werde ich echt vermissen! Verdammt, warum bin ich nur ausgezogen. ^^)

Mittwoch, 11. Oktober 2006

Der Ausreisekurs

Waehrend eines Ausland-Jahres organisiert EIRENE im Normalfall drei Seminare fuer die Freiwillige. Eines VOR Dienstantritt eines im Mai - genau zur HALBZEIT - und eines NACH Dienstende.
Das erste nennt sich im Organisations-internen Fachjargon Ausreisekurs -kurz ARK- und dauert zwei Wochen.
Auch mein Freiwiliges soziales Jahr begann also am 03. Septembe
r mit einem solchen Kurs und ich wusste anfangs nicht so recht, was mich erwarten wuerde und was ich davon halten sollte...
EIRENE hat seinen S
itz in Neuwied. Dort fand auch die erste Woche des Seminars statt (nach einer Woche zogen wir in ein anderes Heim, die „Bannmuehle“ in Odernheim um, wo man abgeschiedener in der Natur war und mehr Freizeitmoeglichkeiten und Ruhe hatte). Direkt im Stadtzentrum in den alten Mauern eines ehemaligen Klosters befinden sich die heiligen Hallen, in denen wir hausten und gleichzeitig die Einheiten hatten.
Im Erdgeschoss Seminarraeume, Bueros, Empfang, Aufenthaltsra
um und herrlicher Garten und im ersten Stock die Kueche, die Schlafsaele, sowie eine Art Wohn- und Esszimmer mit unglaublich krass verstimmten Klavier.
Hier trafen wir an einem Sonntagabend zusammen: Circa 20 junge Menschen in mei
nem Alter, beiderlei Geschlechts, die alle das gleiche vorhatten wie ich; auszerdem Karin, eine Grundschullehrerin Anfang 40, die sich ein Jahr beurlauben liesz, um einen Freiwilligendienst in den Niederlanden anzutreten. Unsere Gruppe war die zweite dieses Jahr, die in das so genannte Nordprogramm entsandt wurde. Unsere Einsatzlaender waren also vor allem Irland, Frankreich, Belgien, die USA und Kanada.
Wir verstanden uns praechtig.
Das offizielle Kennenlernen der anderen, ausnahmslos netten und interessanten jungen Menschen war von EIRENE mit Sorgfalt organisiert.
Eine ausgeklue
gelte Taktik ward angelegt, damit man sich im Laufe dieser zwei Wochen so vertraut wie moeglich wurde. Auf diese Weise sollte gewaehrleistet werden, dass man im Ausland einen Bekanntenkreis zur Seite haben wuerde, der einem Rueckhalt gibt.
Und was soll ich sagen? Diese Taktik hatte Erfolg. Nach etlichen Namen-lern-Spielen folgten Diskussionsrunden ueber Weltanschauungen, Selbstreflexionen, Gespraeche ueber seinen bisheriges Leben und eine Einheit zum Thema „Fremd- und Selbstwahrnehmung“, in der man viel Zeit hatte, um sich ueber seinen eigenen und andere Charaktere und Verhaltensweisen auszutauschen. Insgesamt habe ich so auch unglaublich viel ueber mich selbst dazugelernt.
Darueber hinaus konnte man ja auch die nicht zu kurz angelegte Freizeit miteinander verbringen. Wir spielten Fuszball, Basketball, Volleyball, musizierten, sangen, redeten, spazierten, spielten, tranken, aszen, grillten, schwammen, fuhren Kanu und taten vieles mehr...
Die andere Zeit verbrachten wir mit juristischer Fortbildung, Gespraechen mit einem Vertreter unserer Krankenversicherung oder auch interkulturellem Lernen.
Nach diesen zwei Wochen, die natuerlich auch viel zu schell vorbeigingen, viel der Abschied echt schwer. Und das, obw
ohl ich mich eigentlich sehr auf die Ausreise nach Frankreich freute. Ich hatte mehr als nur Bekanntschaften gemacht und fragte mich, ob und wie ich mit den anderen Kontakt halten wuerde. Die gemeinsam erlebten, wirklich sehr intensiven Tage hatten uns doch mehr als anfangs erwartet zusammengeschweiszt.
Immerhin gingen viele mit mir nach Frankreich, 5 davon in die naehere Umgebung von Paris: Philip (Arche in Copiegne), Clara (Arche in Paris), Miriam (Arche in Versaille), Marie (Emmaus in Paris) und Hannah (Pleine de Vie in Paris).
Unter uns Parisern bild
ete sich sofort so etwas wie ein Netzwerk und schon bevor wir die Groszstatt ueberhaupt erreicht hatten, war ein erstes Treffen an der Kathedrale Notre Dame arrangiert.
Auszerdem moechte ich hier Marcel (den Piano-Man), Lukas (den Bauarbeiter), und Sebi (der sich in Bruessel niederlaesst) namentlich erwaehnen. Ebenso wichtig sind Anna, die in einem Partnerprojekt in Beziers arbeitet, und auch Mareike, die nun irgendwo im Sueden Frankreichs Kuehe huetet...
Auch ihr andern alle, Die Amis und so. Ihr wart der Hammer. (Ich hoffe ich komme dazu, mein Vorhaben wahr zu machen und ein paar von euch in einer Rundreise zu besuchen. Wann hat man nochmal im Leben so viele Menschen verstreut an verschiedenen Orten, wo man sich mal fuer eine Nacht einquartieren kann? ^^ )

Die Zeit davor

Bevor es September wurde und mein Dienst im Ausland begann, ereignete sich noch eine ganze Menge...
In den drei Monaten, die mir nach meinem Abitur verblieben, hatte ich so richtig viel Zeit.
Ein herrliches Gefuehl, das ich wohl zum letzten Mal in meiner Kindergarten- oder Grundschulzeit gehabt haben muss. Fast hatte ich vergessen, wie sich so was anfuehlt. ^^
Und trotzdem schritt diese Episode wie im Fluge vorbei...
Am 30. Juni war unser Abiball. Und so irreal das viele Verabschieden wirkte – mir lag die ganze Zeit ein „Hey, ich fahr doch erst in drei Monaten nach Paris!“ auf den Lippen – so schnell trennten sich mit den meisten die Wege.
Manche begannen gleich am Montag danach beim Bund, andere verschlug es nach Neuseeland fuer ein Aufenthalt à la „Work-And-Travel“.
Dass ich nicht mehr zur Schule gehen musste, das hiesz fuer mich ersteinmal:
Meine Projektreise stand an.
Bei meiner Organisation EIRENE ist es ueblich, dass man vor Dienstantritt in das jeweilige Land faehrt, um sich seine zukuenftige Arbeit anzugucken. Auf diese Weise soll man fuer sich herausfinden, ob einem die ausgesuchte Stelle liegt und gefaellt. Diese Reise soll also einen letzten Test darstellen, damit sich die entsendeten Freiwilligen ihrer Sache auch wirklich sicher sind. Man lernt sein Kollegium kennen, arbeitet mit ihm zusammen und kann sich im Idealfall schon einmal von seinem Vorgaenger einfuehren lassen oder seine neue Wohnung ansehen.
Also fuhr ich frohen Mutes und voller Erwartungen nach Paris – Gare de l'est. Meine erste Fahrt mit dem Nachtzug im „Schlaf“-Wagen. Noch jetzt wundere ich mich, dass ich auf dieser kurzen Pritsche in oberster Reihe, bei absolut erdrueckendem Klima ueberhaupt ein Auge zukriegte...
Die Woche war ein voller Erfolg. Alles stimmte: Geduldiger Vorgaenger, nette Equipe, akzeptable Wohn- sowie Arbeitsbedingungen. Nebenbei konnte ich drei Tage nutzen, um Paris zu besichtigen, denn ich war das erste Mal in dieser Metropole. Und das beste: Ich erlebte Frankreich im WM-Fieber. „Allez, les bleues!“ Die Woche war schneller vorbei, als mir lieb war. Voller Vorfreude und fast ein wenig wehmuetig fuhr ich zurueck in meine nun ungewoehnlich fremde Heimat. „Das Tor zum Odenwald“ schien sich verschlossen zu haben und ich fuehlte mich ein wenig, wie die politischen Fluechtlinge, mit denen ich nun arbeite: Hin- und hergerissen und nirgendwo Zuhause...
Nun war daher meine erste Prioritaet, die Freizeit mit Aktivitaeten zu fuellen, um mich abzulenken. Und das tat ich in ueberdurchschnittlich groszem Masze:
Ich schlief lange, besuchte bei Sonnenschein das Hochschulstadion, traf mich eigentlich jeden Tag mit Freunden, empfing Verwandte, ging in Ober-Ramstad schwimmen, radelte und joggte und suchte mir nicht zuletzt einen neuen Gitarrenlehrer, um das klassiche Nylonseiten-Gefudel nach langer Zeit der Entbehrung wieder aufzunehmen.
Hierbei hatte ich groszes Glueck: Auf der Hobit hatte ich Denis kennen gelernt. Er erzaehlte mir, dass er aus der Ukraine komme und an der Akademie fuer Tonkunst klassische Gitarre studiere. Als ich ihn nach der Nummer seines Lehrers Tillmann Hoppstock fragte, bot er mir an, mich kostenlos zu unterrichten... So kam es, dass ich fuer 6 Wochen die Ehre hatte, erstklassige Gitarrenstunden von einem unglaublich talentierten, jungen Studenten zu beziehen. Und das fuer niente, nothing, nullu, kein klitzekleines bisschen. Er weigerte sich strikt, Geld anzunehmen und betonte stets, er lerne auch von mir, da er an mir das Unterrichten ja quasi ausprobieren koenne und sein Deutsch verbessern wuerde.
Um also dieses Unterkapitel zu beenden: Ich habe in diesen sechs Wochen viel gelernt und hatte groszen Spasz.
Die letzte grosze Unternehmung war die Schottlandtour. Mit Sepp, Tobi und Marius, drei Freunden aus „Owwa Raemst“, wanderte ich 10 Tage durch die Highlands. Anschlieszend blieb noch Zeit, Glasgow zu besichtigen. Ich bin sehr dankbar, dass diese Fahrt noch geklappt hat, denn es war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Ereignis. Ich hatte beim Wandern viel zeit zum Nachdenken und so rueckte in meinem Bewusstsein Frankreich ein wenig naeher. Ich genoss die Stille und die Einsamkeit, denn bei meinem Besuch in Paris hatte ich gemerkt, wie voll, laut und erdrueckend Paris sein kann. Wir liefen, trafen halbwilde Schafe, Ziegen und Kuehe und redeten. Ich hatte die Ruhe, innerlich Abschied vom Kleinstadtleben zu nehmen und mich auf das Leben in der Groszstadt einzustellen...